Bauchsache

Gerade jetzt, nachdem wir in den letzten Wochen zahlreiche Reisen gecancelt, Freud und Leid von Video- oder Telefonkonferenzen sowie die letzten Winkel der eigenen Wohnung kennengelernt haben, steigt mit den Temperaturen unumkehrbar die Lust auf Urlaub.

Lust bringt zum Ausdruck, dass eine Reiseentscheidung überwiegend eine hochemotionale Sache ist, Ausnahmen – Dienstreise zur Evaluation des Projektes Alpha in Konferenzraum Beta in Gamma-Stadt – bestätigen die Regel.

Wir treffen Reiseentscheidungen überwiegend aus dem Bauch heraus. Entspannen und zur Ruhe kommen (ja, das geht auch zu Haus, es reicht jetzt aber!) stehen als Motive an oberster Stelle. Gut für die Naturlandschaften, dass so viele potenzielle Besucher*innen intuitiv der Meinung sind, dass Schutzgebiete zur Erholung besonders geeignet seien.

So ganz wollen wir uns auf die eigene Gefühlswelt aber doch nicht verlassen. Eine deutsche Eigenart?

Es spricht viel dafür, wenn zum Beispiel im Rahmen eines Erfahrungsaustausches zum Naturtourismus eine Referentin eine ¾ Stunde zur Vorstellung der Naturtourismuszertifikate in Deutschland brauchte, der Kollege aus Litauen kurz nach vorne ging, sich vorstellte und sagte, in Litauen gibt es keine. Zack, fertig!

Die Partnerschaften der Nationalen Naturlandschaften sind eine Erfolgsgeschichte und dies trotz der Tatsache, dass Zertifikate eine hoch rationale Sache sind und damit offenbar im totalen Gegensatz zu unserer Reisegefühlswelt stehen. Die Win-Win-Situation, die zum Erfolg der Partner-Initiativen führte, liegt vor allem darin, dass die Naturlandschaften sich von Partner*innen aus Tourismus, Landwirtschaft und Handwerk Unterstützung erhoffen und gleichzeitig die Unternehmen ihr Engagement und ihre regionale Verbundenheit mit der Naturlandschaft zum Ausdruck bringen möchten. Und wenn über diesen Weg auch ein paar mehr Kund*innen oder Gäste kommen, sehr gerne!

Aber haben wir uns in der Vergangenheit ausreichend in die Lage der Verbraucher*innen versetzt? Ich glaube kaum und auch wenn wir selbst jeden Tag Verbraucher*in sind, stecken Mitarbeiter*innen der Naturlandschaften als auch Touristiker*innen bei ihren eigenen Reiseentscheidungen in einer Blase. Sicher ist es nicht verkehrt, seinen Urlaubsort – bevorzugt ein Nationalpark! – danach auszuwählen, was man zu Hause mag oder womit man beruflich zu tun hat und wieder zu Hause eigene Reiseerfahrungen aufs Marketing der Heimatregion zu übertragen. Neue oder andere Zielgruppen erreicht man so höchstwahrscheinlich nicht.

Welches konkrete Wertversprechen können Verbraucher*innen erwarten, wenn sie bei einem Partnerbetrieb der Nationalen Naturlandschaften buchen oder kaufen? Keine einfache Frage, für die es sicher mehr als eine Antwort gibt, die aber meinem Gefühl nach bisher zu wenig gestellt worden ist.

Nun können wir uns dieser Frage so wie das Bundesumweltministerium im Bericht zum nachhaltigen Konsum in Deutschland nähern, in dem eine Analyse der Wechselwirkungen zwischen Kundenwahrnehmungen und Kennzeichnungen für nachhaltige Tourismusangebote vorgeschlagen wird. Und man würde dabei auch herausfinden, wie die Wahrnehmung der Zertifikate verbessert und das Vertrauen der Endkund*innen in diese gestärkt werden kann. Alles – sie ahnen es – im Sinne der Nachhaltigkeit, die leider viel zu oft rational daherkommt!

Ein echt guter Vorschlag, vergessen wir also auf keinen Fall, dass Reisen und Natur (zum Glück!) hochemotionale Dinge sind. Kommunikation mit Herz schlägt zumeist die Logik mit Verstand!

Soviel steht fest: Sicher bin ich mit der Vorfreude nicht allein, bald wieder in den Naturlandschaften unterwegs sein zu können!

Martin Kaiser, Müritz-Nationalpark